Salom Usbekistan!

Montag, 28. März 2016

Das Rukhabat-Mausoleum in Samarkand , im Vordergrund ein blühender Baum
Von Usbekistan hatte ich vor unserer Reise keine genaue Vorstellung. Viel mehr als die Fotos vom Registan in Samarkand, die in den usbekischen Chaikhonas in Moskau die Wände zieren, kannte ich nicht. Chaikhonas sind eigentlich Teestuben (persisch: chai Tee + khona Haus), oft aber normale Restaurants. Daher wusste ich, dass Fleisch zentraler Bestandteil der usbekischen Küche ist, aber das konnte mich nicht abschrecken. Auch nicht die aus allen Nähten platzende Botschaft in der Mitte von Moskau, wo provisorische Anbauten und Zelte das Original-Ambiente des Taschkenter Basars verbreiten. Zugegebenermaßen ist es in dem hier üblichen Gedränge kaum möglich – es wird aber auch gar nicht erst versucht, Abstand zu wahren. Jeder hört den Gesprächen vorn am Schalter aufmerksam zu und stellt gegebenenfalls Zwischenfragen, was den gesamten Prozess nicht unbedingt beschleunigt. Die Telefonieren-Verboten-Schilder, mit denen die Wände des Empfangsraumes gepflastert sind, werden grundsätzlich ignoriert, lautstarke Maßregelungen durch die Beamten bleiben weitgehend folgenlos.
Nach nur zwei Stunden Anstehen in diversen Schlangen halte ich tatsächlich mein Visum in den Händen und bin nun bestens auf die Reise nach Usbekistan vorbereitet. Denke ich.
Ein Handelsgewölbe in Buchara, davor ein einsamer Fahrradfahrer
In der alten Handelsstadt Buchara waren die wichtigsten Straßenkreuzungen mit Kuppelbasaren (Taki) überbaut, die Läden und Werkstätten beherbergten.
Gleich nach der Ankunft fällt die ungewohnte Weitläufigkeit, wenn nicht gar Leere, auf. Auch in den Stadtzentren treffen wir – von den Basaren einmal abgesehen – auf merkwürdig wenig Menschen. Natürlich ist für Moskowiter erstmal alles leer, doch die Bevölkerungsdichte liegt tatsächlich bei nur 61 Einwohnern pro Quadratkilometer (zum Vergleich: in Deutschland sind es 228). Schlange stehen mussten wir dann auch kein einziges Mal. Als zweites fällt mir auf, dass die Usbeken hier viel freundlicher und entspannter sind als die in der Botschaft. Das muss am Wetter liegen!
Auch die Flughäfen und Bahnhöfe zeichnen sich in erster Linie durch aufgeräumte Leere aus. Überall auf der Welt sind sie quirlige Zentren des urbanen Lebens, Zeichen der permanenten Bewegung. Nicht so in Usbekistan: Hier wird man nur mit einer gültigen Fahrkarte eingelassen, auf der nicht nur der Name, sondern auch die Passnummer vermerkt ist. Möchte man jemanden abholen, muss man draußen auf dem Parkplatz warten. Reisende müssen vom Betreten des Areals bis zum Platznehmen im Fahrzeug mehrere Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen. Uns Moskowiter jedoch beeindruckt das nicht sonderlich. Die Sicherheitsvorkehrungen sind in Russland zwar nicht ganz so streng, doch wir sind geübt und passieren solche Kontrollpunkte wie im Schlaf. Nur einmal meldet ein Detektor verdächtigen „elektrischen“ Gepäckinhalt: Herr K. hatte auf dem Basar einen Beutel Walnüsse gekauft.
Auch für uns ungewohnt ist allerdings die obligatorische Besichtigung sämtlicher Taschen am Eingang zur U-Bahn. Außerdem ist dort Fotografieren nicht erlaubt. Anfangs ärgert mich das, denn ich hatte gelesen, dass die Stationen sehr schön sein sollen. Doch bis auf „Kosmonavtlar“ und „Uzbekiston“ finde ich sie nicht sonderlich eindrucksvoll. Schöner als die in Berlin sind sie zwar (was keine große Kunst ist), aber mit der Moskauer Metro können sie einfach nicht mithalten. Immerhin – die Taschkenter Metro ist die einzige in ganz Zentralasien!
Ein Pärchen auf einer Parkbank hinter dem Registan in Samarkand
Der monothematisch bepflanzte Rudaki-Platz in Samarkand
Nun ist es wirklich ungerecht, den Reisebericht mit Verboten und Sicherheitsmaßnahmen zu beginnen. Zwar ist deren Ausmaß – gerade für westliche Reisende (noch) – ungewohnt, aber in direkter Nachbarschaft zu Afganistan und Tadschikistan sicher nicht übertrieben. Inwieweit Präsident Karimov, der das Land seit 1991 ununterbrochen regiert, diese Maßnahmen eventuell für seinen Machterhalt missbraucht, kann ich als Touristin natürlich nicht feststellen. Sehr wahrscheinlich hätte diese sehr traditionell und konservativ geprägte Gesellschaft auch ohne Karimov strengere Regeln und Verbote als beispielsweise Mitteleuropa. Überrascht hat mich jedoch der lockere Umgang der – immerhin zu fast 90% muslimischen – Bevölkerung mit religiösen Vorschriften. Obwohl Usbekistan ein säkularer Staat ist, erwartet man da nicht unbedingt Verhütungsmittel in den Auslagen der Apotheke. Oder turtelnde Pärchen auf der Parkbank. Oder eine ganze Straße voller Bierkneipen in Samarkand, wo wir nicht nur die einzigen Ausländer sind, sondern auch die einzigen Nüchternen. (Anfangs.)
Ein Getreidehändler bedient eine Kundin auf dem Siyob-Basar in Samarkand
Marktszene in Samarkand
Größe und Dekor der Baudenkmäler in der alten Hauptstadt Samarkand sind unheimlich beeindruckend. Dass die Restaurierungsarbeiten auch genau darauf abzielten, ist aber leider auch zu merken: Die Bauwerke wirken – zumindest auf mich – eine Spur zu frisch und künstlich. Dagegen ist auf dem Siyob-Basar noch alles echt. Gekonnt schichten Händler Gewürze, Früchte und Nüsse zu dekorativen Kegeln auf, andere verkaufen backfrische Non-Brote direkt aus dem Fahrzeug – aus alten Kinderwagen. Einen Gang weiter breitet sich ein Halva-Meer vor meinen Augen aus ... aber auf einer Theke liegen graue, faustgroße Steine zum Verkauf. Der Händler erklärt, dass schwangere Frauen damit ihren erhöhten Kalziumbedarf decken. Mmh, ich kenne da elegantere Wege.
Tanzende und musizierende Frauen in einem Hof in Chiva
Sekunden später werde ich auf die Tanzfläche verschleppt.
Schon eine Woche vor dem Neujahrs- bzw. Frühlingsfest Nouruz sind alle in Festtagslaune. Aus zahlreichen Höfen dringt Gelächter, Gesang und beißender Qualm. Hier wird über offenen Feuern die Festspeise Samanak zubereitet. Das zunächst dünnflüssige Getreidegemisch dickt während der 24-stündigen Kochzeit ein und erhält eine karamellbraune Farbe. Da es ununterbrochen gerührt werden muss, ist der Hof voller Menschen (meistens Frauen), die abwechselnd rühren und sich und den Rührenden die Zeit vertreiben, manchmal auch mit Musik. Selbst gänzlich unbeteiligte Touristenpaare werden hereingebeten und aufgefordert, mit zu tanzen und zu rühren – letzteres soll sich übrigens förderlich auf die Fruchtbarkeit auswirken ...
Ein Teller Plov, das usbekische Fladenbrot Non und Salat
Im beschaulichen Innenhof des „Pilav Center Samarkand“ kämpfen wir mit einer riesigen Portion Plov.
Ja, ich gebe es zu, ich habe es getan: Ich habe Pferdefleisch gegessen. Aber nur einen kleinen Bissen, probeweise. Man muss ja wissen, wovon man spricht. Es schmeckt tatsächlich ganz gut und ist – logischerweise – überaus mager. Das Pferdefleisch war Bestandteil des Plovs in Buchara. Das ist aber nicht immer so: im Samarkander „Pilav Center“ wird die Nationalspeise ohne serviert, dafür mit mehr Möhren, Kichererbsen und Rosinen, was mir persönlich besser geschmeckt hat.
Das Reisgericht wird in einem riesigen Topf stundenlang gegart, wofür ausnahmsweise nur Männer zuständig sind. Plov ist so reichhaltig, dass es für gewöhnlich nur bis zum frühen Nachmittag gegessen wird, um dem Körper ausreichend Gelegenheit zur Verarbeitung zu geben. Traditionell isst man – im Kreis um eine einzige große Schüssel sitzend – mit der Hand. Mit einer speziellen Greiftechnik befördert der geübte Plov-Liebhaber Reiskörner, Gemüse und Fleisch gleichzeitig in den Mund ohne zu Kleckern. Mittlerweile hat sich aber auch bei den Einheimischen der Gebrauch von Besteck und Einzeltellern durchgesetzt.
Das kleine Minarett der Nekropole Tschor Bakr.
Die Nekropole Tschor Bakr wurde zu Ehren eines Würdenträgers des einflussreichen sufistischen Nakschbandi-Ordens im 16. Jahrhundert unweit von Buchara angelegt.
Für Touristen mit einem durchschnittlichen eurozentristischen Bildungshintergrund ist es einigermaßen schwierig, die Geschichte von Usbekistan zu überblicken. Ein usbekischer Nationalstaat im europäischen Sinne existiert erst seit der Ablösung von der UdSSR im Jahre 1991. Das heutige Usbekistan entstand in den Grenzen der früheren usbekischen Sowjetrepublik. Vor deren Ausrufung im Jahre 1925 prägten dieses Gebiet Jahrtausende lang verschiedenste sesshafte und nomadisierende Stämme, eine endlose Kette von Eroberungen und natürlich auch der rege Waren-, Kultur- und Wissensaustausch entlang der Seidenstraße. Von all diesen Völkern und Religionen blieb ein Stückchen erhalten und mischte sich mit den Bräuchen der Nachfolger.
Das restaurierte Gur-Emir-Mausoleum in Samarkand umrahmt von blühenden Bäumen.
Bei der Ausgestaltung des Gur-Emir-Ensembles in Samarkand wurde nicht gegeizt: die Innenwände des Mausoleums sind mit Onyx, Jaspis und echtem Gold bedeckt. Denn hier liegen Timur Lenk und seine Nachkommen, die sogenannten Timuriden, begraben. Das ab Anfang des 15. Jahrhunderts errichtete Ensemble gehört zu den wichtigsten Bauten mittelalterlicher islamischer Architektur.
Von den vielen Eroberern sind der persische König Kyros II., Alexander der Große, Dschingis Khan, Timur Lenk und Zar Alexander II. als die bedeutendsten zu nennen. Da Zentralasien stets von verschiedensten Völkergruppen und fremden Völkern regiert wurde, gibt es kaum Voraussetzungen für einen Nationalstaat im europäischen Sinne. Trotzdem versucht die aktuelle Geschichtsschreibung, eine nationale Erzählung zu konstruieren, deren Held und Ausgangspunkt Timur Lenk ist. Ungeachtet dessen, dass Timur ganz genau so ein gnadenloser Unterdrücker unzähliger Völker war wie zum Beispiel Dschingis Khan und ebenso wie dieser (teilweise) mongolischer Abstammung, wird Dschingis Khan als grausamer Eroberer eingeordnet, Timur Lenk („der Lahme“) dagegen wird mit dem Namen „Amir Timur“ (Amir = Emir, ein Herrschertitel) geehrt.
Blick auf den Bibi-Xanom-Komplex in Samarkand
Wie Phoenix aus der Asche: Die frisch restaurierte Bibi-Khanom-Moschee in Samarkand.
Timur Lenk (1336–1405) war zwar ein ausgesprochener Brutalo, hatte andererseits aber auch ein Faible für die Kunst und verhalf der Literatur und Baukunst zu bis dahin unerreichter Blüte. In Samarkand, der Hauptstadt seines Reiches, ließ er prächtige Bauwerke errichten, die Bibi-Khanom-Moschee ist eines davon. Angespornt von den Prunkbauten, die er während seines Eroberungszuges in Indien sah, veranlasste er den Bau dieser gewaltigen Freitagsmoschee, die alles übertreffen sollte.
Dazu gibt es eine echt timurmäßige Legende: Als Timur die Heimreise antrat, soll seine Lieblingsfrau Bibi Khanom (die tatsächlich aber Sarai Mulk Khanom hieß) diese Moschee als Willkommensgeschenk für den erfolgreichen Eroberer in Auftrag gegeben haben. Der Architekt verliebte sich in die außergewöhnliche Schönheit. Kurz vor der Fertigstellung verweigerte das Schlitzohr die Weiterarbeit und erzwang sich so einen Kuss. Der Knutschfleck auf der Wange überführte die ruchlose Ehebrecherin. Der Baumeister konnte fliehen, doch Bibi Khanom musste büßen: Timur ließ sie vom Minarett seines eben fertig gestellten Geschenks werfen. Bibi Khanom war aber nicht nur sagenhaft schön, sondern auch klug und zog sich ihre 40 Seidenkleider gleichzeitig an, die sich während des Falls aufplusterten und die Landung abfederten. Bibi Khanom hatte den Fallschirm erfunden! Ob sie danach trotzdem gesteinigt oder enthauptet wurde, ist nicht bekannt. Die Erzählung endet immer an dieser Stelle.
Wahr ist allerdings, dass der Moschee – ähnlich der legendären Bibi Khanom – kein glückliches Schicksal beschieden war. Die mächtige Kuppel, auf der Timur Lenk bestanden hatte, stürzte bereits nach wenigen Jahren aus statischen Gründen ein. Jahrhundertelang diente die Ruine der Bevölkerung als Steinbruch für Wohnhäuser. Erst zu Sowjetzeiten konnte sie gesichert werden, aber für eine grundlegende Restaurierung gab es erst nach der Unabhängigkeit Usbekistans Geld.
Der Sommerpalast des letzten Emirs vom Park aus gesehen.
Den Bau des neuen Palastes in der Sommerresidenz Sitorai Mohi Khosa bei Buchara begleiten dunkle Gerüchte: Der mit der Innengestaltung beauftragte Künstler Shirin Muradov soll als Gefangener zu unbezahlter Arbeit gezwungen worden sein und Erfrierungen an den Händen davon getragen haben.
Auch Said Alim Khan (1880–1944), der letzte Emir von Buchara, hatte Probleme mit den Frauen. Es wird erzählt, dass er auf Großfürstin Olga Alexandrovna Romanova, die jüngste Schwester des letzten Zaren, ein Auge geworfen hatte. Eines Tages fasste er sich ein Herz und lud sie auf seine Sommerresidenz Sitorai Mohi Khosa ein. Ermuntert von positiven Signalen aus St. Petersburg begann der Emir unverzüglich mit den Vorbereitungen. Im Garten der Residenz entstand ein schmuckes Gästehäuschen mit farbenprächtig ausgemalten Räumen. Doch Olga kam nie. Irgendwie hatte sie erfahren, dass dieses Gästehaus auf halbem Wege zwischen Palast und Harem stand. Neben dem Harem befand sich zudem ein hölzerner Ausguck, von dem aus der Emir bequem das Schwimmbecken des Hauses einsehen konnte. Außerdem gab es da so eine Geschichte von einem Mädchen, das sich geweigert hatte, Teil seines Harems zu werden. Olga blieb in St. Petersburg und das Gästehaus wurde eben für andere, weniger zimperliche Gäste benutzt.
Die beeindruckenden Mauern der Festung in Buchara.
Hinter diesen Mauern lebten jahrhundertelang die Emire von Buchara. Doch modernen Kriegsmethoden waren sie nicht mehr gewachsen: Der letzte Emir musste vor sowjetischen Bombardements fliehen.
Ganz in der Tradition großer Herrscher war Said Alim Khan hauptsächlich um die eigene Person besorgt. Außer Moscheen und Medressen baute er nichts Brauchbares für seine Untertanen. Sinn für Neuerungen zeigte er mit dem Bau eines kleinen Stromkraftwerks; das allerdings versorgte nur seinen Palast. Und dort auch nur einen elektrischen Kronleuchter, den er von Zar Nikolaus II. geschenkt bekommen hatte.
Als der Emir 1920 Hals über Kopf vor den Sowjets fliehen musste, ließ er vierzig mit Gold beladene Pferde aus der Stadt schaffen. Einer der beiden Vertrauten, die den Track anführten, blieb auf dem Weg zurück, um etwaige Verfolger abzuwehren. Als er schließlich weiter ritt, fand er alle Soldaten tot und den anderen Vertrauten schwer verletzt. Vor seinem Ableben erzähle dieser, dass sie erst auf der Rückkehr vom Versteck überfallen worden waren, und beschrieb auch den Weg zu diesem Ort. Der einzige Überlebende schlug sich nach Afganistan durch, wohin der Emir in der Zwischenzeit geflüchtet war und berichtete ihm alles. Dieser ließ ihn auf der Stelle umbringen und rüstete sich für eine Expedition, um den Schatz zu holen. Doch an der angegebenen Stelle fand sich überraschenderweise kein einziges Goldstück.
Das ist natürlich eine romantisierende Legende, die uns der Stadtführer mit Hingabe erzählte. Tatsächlich paktierte der Emir seit 1918 mit den Briten gegen die Sowjets. Aber Ende 1920 schließlich stand sein Palast in Buchara unter viertägiger Belagerung und wurde sogar aus der Luft bombardiert. Ihm gelang die Flucht nach Afganistan, wo er sich mit den nationalistischen Guerillatruppen der Basmatschen und dem jungtürkischen Schlächter Enver Pasha verbündete, um ein Jahr später erneut anzugreifen. Letztlich musste er erneut nach Afganistan fliehen, wo er 1944 verstarb.
Blick von der Stadtmauer von Ichan-Kala.
Für zaristische Expeditionen lange Zeit unüberwindbar: die Mauern der Stadt Chiva.
Überhaupt war die Beziehung zwischen Russland und Zentralasien nicht eben einfach. Bekanntermaßen stand Russland zunächst zwei Jahrhunderte lang unter der Fuchtel der Goldenen Horde. Ein paar Jahrhunderte später war es selbst so stark, dass „Grenzen schützen“ oft „Grenzen erweitern“ gleichkam. Expeditionen nach Chiva, wo Gold gefunden worden war, endeten zwar noch wenig erfolgreich, aber ab Mitte des 19. Jahrhunderts wendete sich das Blatt. Nach dem Emirat von Buchara kapitulierte 1873 schließlich auch Chiva. Zur Sicherung der Macht holte der Zar Kosaken und Siedler in das neu gegründete Generalgouvernement Turkestan, wo sie mit der ansässigen Bevölkerung um Land konkurrierten. Dabei zog diese selbstverständlich den Kürzeren.
Ein Minarett in Buchara bei Sonnenuntergang.
Jahrhundertelang entnahmen die Einwohner von Buchara ihr Trinkwasser den offenen Kanälen und Wasserbecken (Khauz) der Stadt. Ein Paradies für Fadenwürmer.
Auf der anderen Seite der Medaille stehen die medizinischen und technischen Einrichtungen, die die Russen nach Zentralasien brachten. So machten Hygienemaßnahmen und eine moderne Wasserversorgung die berühmten Fadenwurmzieher von Buchara arbeitslos (Wie das vor sich ging, erklärte unser Stadtführer unnötig ausführlich.) Bewässerungssysteme ermöglichten die Ausweitung von landwirtschaftlichen Flächen, der systematisierte Baumwollanbau legte den Grundstein für die allgemeine Industrialisierung; Krankenhäuser und Schulen wurden gebaut.
Blick von der Festung auf die Palastmoschee und den davor liegenden Schuchov-Turm.
Vladimir Schuchov, der den berühmten, 1922 fertig gestellten Radio-Turm in Moskau entwarf, wandte das gleiche Bauprinzip auch beim Wasserreservoir in Buchara an. Mit demonstrativ wenig Fingerspitzengefühl stellte man die ultramoderne Technik genau zwischen die Festung des erst kürzlich verjagten Emir und die Palastmoschee.
Die Schwächung des Zarenreiches im 1. Weltkrieg begriffen die zentralasiatischen Völker als Chance zur Unabhängigkeit. Es kam zu gewaltsamen Unruhen, die Hunderttausende zur Flucht zwangen. Nach der Abdankung des Zaren brach auch hier ein unheilvoller Bürgerkrieg aus, der bis 1920 andauern sollte. In diesem Jahr entstanden die Republiken Choresmien (früheres Khanat Chiva) und Buchara. Zusammen mit der Republik Turkestan gingen sie schließlich 1925 als Sowjetrepublik Usbekistan in der UdSSR auf. Auch hier gab es stalinistische Säuberungen, auch hier wurde der Tradition und Religion der Krieg erklärt. Nach dem Tod Stalins änderte sich das wieder, schließlich pflegte man sogar einen „parallelen Islam“. Es kam zu einem beispiellosen Bildungsboom, gerade bei Frauen. Allerdings führte die kurzsichtige Wirtschaftspolitik zu den bekannten Problemen. Zum Beispiel wurde fast ausschließlich auf die Baumwollproduktion gesetzt, was nicht nur das Ökosystem ruinierte, sondern Usbekistan zu einem bloßen Rohstofflieferanten verkommen ließ.
Blick vom Ufer des Amudarja auf alte, verrostete Schiffe.
Der Amudarja in der Nähe von Chiva. Nach der Schneeschmelze wird er noch etwas breiter sein.
Bisher kannte ich ihn nur aus dem Geschichts- bzw. Geografie-Unterricht, jetzt stehe ich tatsächlich an seinem Ufer! Die Lage des Amudarja konnte ich immer perfekt einzeichnen, unterhalb des Aralsees. Der allerdings gehört mittlerweile nur noch ins Geschichtsbuch. Zwar lernten wir damals, dass der Wasserspiegel des Aralsees rapide abnimmt, aber immerhin existierte er noch als solcher. Erst Pink Floyd machten mich 2014 mit dem Video zu Louder than words darauf aufmerksam, dass der einstmals viertgrößte Binnensee der Welt nur noch aus ein paar stinkenden Pfützen besteht. Wegen der übermäßigen Wasserentnahme und Anstauungen versickert der Amudarja nunmehr 200 km vor dem Aralsee mitten in der Wüste. Hier bei Chiva ist er zwar noch immer beeindruckend breit, wohl aber ziemlich flach. Auf der Reise durchs Land kann man auch oft eine weiße Schicht auf der Erde sehen. Sieht wie Raureif aus, ist aber Salz. Eine Folge der rücksichtslosen Eingriffe in den Wasserhaushalt des Landes.

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