Häschen hüpf!

Samstag, 6. September 2014

ж/д – diese Abkürzung lässt mich stets spontan an öffentliche Sanitäranlagen denken, tatsächlich ist jedoch die Eisenbahn (желeзная дорoга) gemeint. Und als wir vergangenen Sonntag mit dem Zug zurück nach Moskau fuhren roch es auch gar nicht nach Toilette – dafür hing ein deutlicher Kneipengeruch in der Luft. Wir waren nämlich nicht die einzigen, die sich ein schönes Wochenende auf der Datscha gemacht hatten.
Der Zug war schon recht voll und bei jedem Halt drängten neue Fahrgäste in unser Abteil – die meisten schleppten Taschen voller Erntegut und gebüschartige Blumensträuße mit sich. Auch ich hatte einen großen Beutel mit Pflaumen auf dem Schoß. Die Frau rechts neben mir aber balancierte gleich mehrere Taschen auf ihren Knien und nahm daher auch einen Teil meines Sitzplatzes in Beschlag. Der Blick nach links aber war frei – zum Fenster, wo sich endlos Kiefernwälder und Wiesen abwechselten, hin und wieder unterbrochen von Siedlungen. In den meisten hielt der Zug, manchmal aber auch an einem Haltepunkt mitten im Wald. Offenbar gab es dort nichts, wonach man sie hätte benennen können, denn diese Stationen hießen einfach „95. Kilometer“ oder „73. Kilometer“ – womit die Entfernung nach Moskau gemeint ist.
Eine kleine Abwechslung boten die mobilen Händler, die den Zug unablässig auf der Suche nach Käufern für alle möglichen Kleinartikel durchsteifen. Wundpflaster, Stifte, Rätselhefte, Trinkhalme und Servietten – all das kann man bequem sitzend während einer Zugfahrt kaufen. Ein besonders geschäftstüchtiger Mann hatte sich sogar ein Mikrofon besorgt, um dem gesamten Abteil die magische Reinigungswirkung seines Schmutzradierers nahe bringen zu können. Doch er beließ es nicht bei Worten: Zur Demonstration bekritzelte er mit einem Edding die Abteiltür und radierte die Striche anschließend rückstandslos weg. Dieser Radierer könnte für den Berliner ÖPNV ganz interessant sein.
Als Nächstes aber stand kein Händler in der Tür, sondern der Kontrolleur. Schlagartig leerte sich das Abteil und endlich konnte ich meine Arme wieder in eine natürliche Stellung zu bringen. Der Kontrolleur wurde von zwei Wachmännern begleitet. Doch die wenigsten Schwarzfahrer wollen sich auf eine Konfrontation einlassen und wählen die Flucht nach vorn, also in den nächsten Wagen. An den Stationen kann man daher für gewöhnlich große Menschenmengen am Abteilfenster vorbei hechten sehen: Beim ersten Wagen angekommen, rennen sie auf dem Bahnsteig am Kontrolleur vorbei zurück zum Zugende.
Aufgrund ihres Fluchtverhaltens werden Schwarzfahrer auch „Hasen“ (Hase: заяц – saetz) genannt. In den öffentlichen Verkehrsmitteln sind daher allumfassende Verbotsschilder angebracht, auf denen rauchende und trinkende Hasen zu sehen sind. Da Schilder allein keine Wirkung haben, wurden Schranken an den Ausgängen vieler Bahnhöfe installiert, an denen jeder Fahrgast sein Billett einscannen muss, um auf die Straße entlassen zu werden. Doch damit ist das Hase-und-Wolf-Spiel nicht vorbei: Während der Fahrt konnten wir überall Schlupflöcher in den Umzäunungen der Bahnhöfe sehen. Die Hasen umgehen so die Schranken – laufen dabei aber oft über die Gleise. Das hohe Unfallrisiko wird in Kauf genommen, denn die Fahrpreise sind in den letzten Jahren rasant angestiegen. Im Vergleich zu den deutschen sind sie immernoch ausgesprochen billig, aber für viele Menschen hier offenbar zu hoch.

1 Kommentar:

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